Heinrich Eder, Marie Therese Fumagalli, Ferdinand Fux, Sabine Mohr, Pavel Richtr,
Thomas Rieck, Uwe Schlesener
Eröffnung: 29.01.2016, 19 Uhr
Einführung: Hajo Schiff
Ausstellung: 30.01. – 21.02.2016
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 15 -18 Uhr
Rede: Hajo Schiff vom 29.01.2016:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstler und Freunde,
es ist mir eine Ehre, zu dieser besonderen Ausstellung sprechen zu dürfen. Und obwohl es ja keineswegs immer so ist, dass Worte die Bilder besser machen, besteht hier vielleicht doch einiger Klärungsbedarf. Allerdings ist das Reden über Kunst eher selbst eine Kunst, als dass es die Arbeiten stets zum Sprechen bringt.
„Über Kunst ist so viel geschrieben worden, dass man sie fälschlich für einen intellektuellen Beruf nimmt“ hat die kanadisch/amerikanische Malerin Agnes Martin gesagt, der gerade in Düsseldorf eine große Ausstellung gewidmet ist. Nun bin ich ein in den 70er Jahren wurzelnder Kunstmittler. Als Schüler von Bazon Brock, Joseph Beuys, Franz Erhard Walther, Henning Christiansen und solchen Theoretikern und Fluxus-Künstlern war und ist mein Zugang zur Kunst tatsächlich vorwiegend theoretisch. Ich habe ja auch meine eigene Produktion für das Wort aufgegeben – aber vielleicht ändert sich das auch noch einmal wieder. Jedenfalls habe ich lange zum Verständnis der eigentlichen Malerei gebraucht. Das macht sie für mich nun sicher umso interessanter.
Nun geht es hier heute nicht nur um Malerei, aber sie ist doch stark vertreten. Es finden sich scheinbar schnelle Gesten, skripturale Zeichen unterschiedlicher Lesbarkeit, ein ganz aus der Farbe monochrom entwickelter Torso, zeichnerische Gebilde
und dazu ein fast vollplastisches Relief in Veränderung durch Überprojektion.
Die Ausstellungseinladung verzeichnet sieben Künstlerinnen und Künstler. Die Ausstellung trägt den kurzen und vielleicht etwas seltsamen Titel „Dahinter“. Es ist also mehr als ein bloßes Wortspiel, wenn man nun auch erfahren will, was denn nun „dahinter“ steckt.
Man könnte endlos in kunsthistorische oder auch kunstpsychologische Diskurse eintreten, die sich allesamt um die Deutung eines „Dahinter“ drehen.
In der Tat ist das „Dahinter“ für die Malerei absolut grundlegend. Sicher öffnet sich hinter den Farben der Bildoberfläche ein unauslotbarer Tiefenraum, den man gedanklich oder meditativ erschließen kann, wenn man sich die notwendige Ruhe nimmt. Sicher ist es seit rund 500 Jahren in der verbindlich europäisch geprägten Bildkultur üblich, das Bild als eine Folie zu sehen, „hinter“ der sich eine Szene aufbaut. Ich beziehe mich dabei – es dürfte in einem Künstlerhaus allgemein bekannt sein – auf Leon Battista Albertis Definition des Bildes als eines Fensters. Und was sich damals selbstverständlich auf figürliche Malerei bezog und in Analogie zu einem ebenso klar begrenzten Guckkasten-Bühnen-Raum steht, wirkt seit der Moderne auch in der abstrakten Kunst weiter: Wir können auch in bloß überlagerten Pinselstrichen einen Tiefenraum ausmachen, wir können uns selbst hinter monochromen Oberflächen vibrierende Unendlichkeit vorstellen.
Nun gibt es allerdings eine konkurrierende Bildauffassung, bei der nicht das virtuelle Eindringen
in den Bildraum anhand der Linien der Perspektive im Vordergrund steht, sondern die genau umgekehrte Vorstellung, dass nämlich etwas aus ferner Tiefe sich auf der Oberfläche des Bildes manifestiert. Ich meine die Bildtheorie der Ikonen. Dort ist die Oberfläche des Bildes die dünne Folie, die das Numinose von Alltag trennt, wobei das Numinose dahinter so nah ist, dass das Bildobjekt selbst geheiligt ist. Aber so anders diese Vorstellung auch ist, auch sie argumentiert mit einem „Dahinter“. Auch sie lässt uns gedanklich durch die Farbe gehen.
Aber nicht nur für die räumliche Verortung der Bilder ist das „Dahinter“ wichtig. Sicher ist die Kunst generell eine Oberfläche, hinter der notwendig die Deutung steht. Ganze Systeme von Symbolen und Allegorien sind ohne ein Hintergrund-Wissen nicht zu verstehen. Oft haben wir es mit einem Dahinter der Bedeutung, ja einem „Dahinter“ der mythischen Überhöhung zu tun.
„Warum gibt‘s im Museum so viele Bilder mit Frauen und Kleinkind?“ mag derjenige fragen, der das „Dahinter“ einer weltanschaulichen Codierung nicht kennt – es werden leider immer mehr.
„Dahinter“ ist zudem auch eine Methode der Wahrnehmung, ja eine Forderung an die Wahrnehmung. Schließlich entsteht jedes Bild erst im Auge des Betrachters. Es ist ja erschreckend, wie oft heute ein „Dahinter“ verweigert wird. Ganz anekdotisch sei angemerkt, dass mein Schreibprogramm das Wort „unauslotbar“ in das Wort „unausrottbar“ ändern wollte.
Dass diffuse Tiefenschichten also ausgerottet werden sollten, ist sicherlich eine zu weit gehende Interpretation, passt mir aber gerade gut. Denn erst vor einigen Tagen haben gleich mehrere Zeitungen (die „taz“, der Berliner „Tagesspiegel“) unabhängig voneinander die allgemeine Verhärtung der Positionen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sogar als Aufmacher gebracht. Dabei gab es als graphische Umsetzung mal ein Ausrufe-Zeichen, mal schlicht die Worte Schwarz und Weiß … jeweils auf dem gegenteiligen Hintergrund gedruckt.
Es ist derzeit jedenfalls auffällig, wie sehr eine Doppelbödigkeit oder allein die Idee, es gäbe mehr als Eindeutigkeit, so viele zu verwirren scheint, wie viel mehr als früher sie allzu einfach gestrickte Weltbilder im Kleinen und Großen verstört. Kunst ist da ein guter Bereich, Mehrdeutigkeiten und die Mitarbeit der Betrachter einzuüben – und sie ist selbstverständlich ein Mehrfaches komplexer als die erwähnten spontanen Einfälle der Zeitungs-Lay-Outer. Jedenfalls sind angesichts wieder so mächtig erstarkender tödlicher Fundamentalismen und jeder Relativierung abholder Positionen in Politik und Religion relativistische Absagen an objektive Feststellungen und unverbrüchliche Gewissheiten geradezu vorbildhafte Kulturleistungen.
Zwei Meldungen allein aus dieser Woche: Eine 13-jährige Russlanddeutsche wird von einer Horde Araber vergewaltigt: Grässlich, selbst der Außenminister der russischen Föderation mischt sich ein. Ein Asylbewerber stirbt mitten in Berlin vor dem Ausländeramt, eine Ungeheuerlichkeit nach der sofort Kerzen entzündet, Blumen abgelegt und nach dem Rücktritt der zuständigen Minister geschrien wurde. Doch in beiden Fällen gibt es ein „Dahinter“: Die Tatsache, dass diese bereits in den Medien und der Restrealität deutlich wirksamen Ereignisse schlicht nicht stattgefunden haben, dass sie nur Erfindungen waren, in einem perversen Sinne sogar „künstlerische“ Setzungen einzelner.
Es ist solch ein Bezugssystem, in dem sich die in der Vorführkabine aus Wellblech die hier etwas versteckte Arbeit von Heinrich Eder selbst dann wiederfinden würde, wenn sie nicht ohnehin ausdrücklich die aktuelle Flüchtlingsdramatik thematisieren würde.
Ich weiß, dass einige hier aus dem Haus mit ihrer Arbeit Geflüchtete unterstützen. Aber anders als in der Arbeit mit Flüchtlingen geht es in der Kunst eher um die Frage, wie die Thematik ins Bild kommen kann, wie die Bilder über sie zu wirksamen Zeichen werden. Es sind lang eingeübte kulturelle Prägungen, die in Reportage-Photos die alten Topoi wiederfinden und zu Schlüsselmotiven erheben. Eines davon ist der überzeitliche Ausdruck des Leids in der Konstellation der Pietá. Heinrich Eders klassische Schulung befähigt ihn, dies aktuell zu bemerken und in Carrara-Marmor umzusetzen. Auf die verschiedenen Kontexte verweist dann das Medium der Projektion und der Spiegelung.
So gewinnt eine Betrachtungsweise Form, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon den Photographen in seiner Bildwahl bestimmt hat, allerdings spontan und eher unbewusst.
Haben wir bei Heinrich Eder schon mal ganz direkt ein Dahinter gefunden, könnten wir dies auch bei den weiteren sechs Künstlern im Detail versuchen. Das könnte allerdings die mir eingeräumte Redezeit sprengen, wo es doch so viele kunsttheoretische, kunstanalytische und kunstkritische „Dahinters“ gibt …
aber vielleicht darf man auch ganz einfach die eher alltagsnahe Frage stellen: Was steckt denn bei dieser Ausstellung dahinter?
Bei aller Gefahr, das Wort totzureiten: Es gibt in der Tat ein heimliches „Dahinter“ schon bei der Zusammenstellung dieser Ausstellung. Doch dieser Kern der Ausstellung sollte eigentlich nicht verraten werden – ich werde also nicht umhinkommen, ihn lauthals zu verschweigen. Die antike Rhetorik nannte das eine Aposiopese. Im Übrigen können Sie selbst darauf kommen: Von den beteiligten sieben Künstlern sind nicht alle heute anwesend. Es sind also einige Künstler und Künstlerinnen abwesend – sei es weil sie aufgrund einer fortgeschrittenen Alterskrankheit nicht mehr gut reisefähig sind, sei es, dass sie über eine selbstgewählte Mystifikation sich nicht unmittelbar mit den Werken in Beziehung setzen wollen. Und es gibt hier im Raum eine betont leere Mitte, um die an allen Wänden immer wieder Werke der gleichen Person sich mit anderen in den Dialog setzen. Die im chinesischen Sinne leere Mitte wird durch die Anwesenheit einer Abwesenheit bestimmt, ein Bild dessen, was fast jede Nacht sichtbar ist, aber sich zum Teufel nie umdreht: Ein jahrhundertelang Neugier weckendes „Dahinter“: „The Dark Side Of The Moon“, hier als eine Bodenkeramik von Sabine Mohr historisch-fiktiv kartiert … und wohl auch mit Assoziationen in die Pop-Kultur spielend.
Aber die leere Mitte als Angelpunkt meint vor allem eine Malerin, die hier im Hause ein Atelier hat. Eigenartiger Weise bin ausgerechnet ich hier im Raum der wahrscheinlich einzige, der sie gar nicht kannte –
jetzt ist mir doch eine Vergangenheitsform herausgerutscht.
Ja, Marie Therese Fumagalli musste das Atelier aufgeben, sie hat am 16. Januar nicht nur die Kollegen verlassen, sondern gleich ganz diese Welt.
Vor diesem Hintergrund lesen sich The Dark Side Of The Moon oder Thomas Riecks auf den ersten Blick so niedlich wirkende ewige Jagdgründe noch etwas anders. Vom seltsam grimmigen Kofferträger mit offener Geste empfangen, mit dem Sauna-Handtuch ausgestattet, das die Signatur Gottes trägt, gelangt die hier memorierte Person jenseits aller Texte und heiligen Zeichen zur transzendenten Einsicht des ewigen Wechsels von Leid, Erlösung und Wiederholung.
Sicher wird auch in Künstlerbiographien viel hineingeheimnisst, sodass hinter eher gewöhnlichen Fakten ein geheimnisvoll-geniales „Dahinter“ vermutet wird. Und sicher ist in „unserem“ Bereich auch der Kontext ein „Dahinter“, das professionelle Kunst von Laienkunst und Außenseiterkunst, von Kunstgewerbe und Design sauber zu trennen meint – nur um diese Trennung dann manchmal mit staunendem Erkenntnisgewinn aufzubrechen.
Die frei im Raum hängenden, manchmal aus einem Strich entwickelten Zeichnungen und auch der rote Torso sind Arbeiten von Uwe Schlesener, einem guten Freund von Marie Therese Fumagalli. Er arbeitet gleichwertig mit Sprache, schreibt poetisch verdichtete kurze und ganz kurze Geschichten. Dieses weitere „Dahinter“ wäre nicht vollständig, wenn ich nicht eine davon hier vorlesen würde: Sie heißt „Bäume lachen lautlos“ und war der Lieblingstext von Marie Therese Fumagalli.
(ZITAT TEXT SCHLESENER)
Texte als Kunst, Texte auch als bildende Kunst, hier nicht im Grenzbereich der konkreten Poesie sondern vor allem in der ungeheuren Vielfalt ihrer Texturen selbst zu Tiefenräumen gestaffelt oder auch an die Decollagen-Kunst lang gewachsener Plakatwände erinnernd… hier sind es die Arbeiten von Pavel Richtr, in dessen Nachbarschaft die Graffiti-Strukturen der eher gestischen Malerei von Marie Terese Fumagalli eine neue Lesbarkeit gewinnen.
Ist es bei Pavel Richtr die Schrift, die Malerei und Skulptur bestimmt, so ist es bei Ferdinant Fux die Musik. Er firmiert vor allem als Pianist, Musiker und Komponist, erst dann als freischaffender Künstler. Auch bei seinen Bildern kann man das „Dahinter“ suchen, kann hinter die Farben gehen und sich einen neuen Raum öffnen. Doch dazu sind diese drei Bilder auch als Meta-Bilder zu verstehen. Sie scheinen dezidiert dem eigentlich unschönen Begriff der „Post-Moderne“ (gar Post-Post-Moderne) zuzugehören, der „Post-Painterly-Abstraktion“. Denn sie zitieren ihre Art zu malen eher, als das sie ganz unbefangen einfach nur das sind, was sie scheinen. Das Zitieren und die Ironisierung künstlerischer Ausdrucksformen ist ohnehin eine naheliegende Methode, wenn in starkem Maße in verschieden Teilgebieten der Künste geforscht, gearbeitet und angeeignet wird.
Mit den Farbzeichnungen und dem übermalten Frottiertuch Gottes hatte ich Thomas Rieck schon herbeizitiert. Seine immer hintergründige, zeichnungsbasierte Sinnsuche findet trotz oft dunklen Stimmungen zu Formulierungen, die auch eine humorvolle Lesart ermöglichen. Zwischen seinen Arbeiten und denen von Pavel Richtr gehängt, zeigen die Tafeln von Marie Terese Fumagalli, wie Farbe auch mit stark reduzierten Andeutungen von figürlichen Elementen zu einer Erzählung gelangen kann.
…Aber lassen sie uns nicht alle Querbezüge der wesentlich von Maria Hobbing geprägten Hängung ausloten.
Eins aber ist inzwischen wohl klar: Nämlich was die hier bestimmende der ganzen Möglichkeiten des „dahinter“ ist.
Wir haben es hier mit einer Ausstellung einer Gruppe von Freunden zu tun, mit einer Anzahl von sehr verschiedenen Künstlern aus den Künstlerhäusern Sootbörn und FRISE, die die malende und klavierspielende Marie Therese Fumagalli als Freunde beeinflusst haben und hiermit an sie erinnern wollen.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
© Hajo Schiff 01/2016