Jaakov Blumas
Eröffnung: Freitag 09.06. 2017 um 19 Uhr
Einführung: Dr. Gaby Himmelmann
Ausstellung: 10.06. – 25.06.2017
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 15 – 18 Uhr
„…Einst gehörte es zum Lehrstoff der Kunsthochschulen, mittels Kippfiguren die künstlerisch-physikalische Wahrnehmung zu bilden. Kippfiguren sind geometrische Lineamente, die unterschiedliche räumliche Interpretationen zulassen, bei denen beispielsweise der Hintergrund plötzlich scheinbar in den Vordergrund kippt und umgekehrt. So sind selbst zugleich auf und absteigende Treppen darstellbar, wie M.C. Escher sie zeichnete. Heute bieten die Computer in ihren Morphingprogrammen nahezu beliebige Veränderungen von Formen an, ohne dass damit noch eine wesentliche Irritation verbunden ist. Im immer drängender werdenden Wettlauf um visuelle Aufmerksamkeit gerät dabei in Vergessenheit, wie speziell und brüchig aber unsere Wahrnehmungskonstruktionen wirklich sind. Selbst die visuellen Mehrdeutigkeiten der Kippfiguren funktionieren ja nur innerhalb des seit dem 15. Jahrhundert entwickelten Regelsystems der Zentralperspektive. Tatsächlich ruht erstaunlich unbeirrbar unser gewöhnliches Bildverständnis nach wie vor auf der Raumkonstruktion der Renaissance. Und obwohl die „richtige Perspektive“ von Anfang an nur ein Modell war, gemessen an dem wirklichen, zweiäugigen Sehen zudem ein eindeutig falsches, bleibt diese lineare Konstruktion dominant, trotz aller intensivster Brechungsversuche durch die Kunst seit der Klassischen Moderne. Viel früher allerdings hatten schon Manierismus und Barock durch gedrehte Achsen und elliptische Konstruktionen mit mehreren Brennpunkten den Raum und seine Wahrnehmung dynamisiert. Von besonderer Wirkung waren dabei die ausweglosen Unbestimmtheiten der phantastischen Radierungen der „Carceri d’inventione“ von Piranesi mit ihren ins Leere laufenden Leitern und mehrdeutigen Raumschichtungen, bei denen sich ein Detail an zwei Punkten im Raum zugleich befinden konnte. Schon im melancholischen Titel manifestiert sich eine Erfindungskraft, die trotz utopischer Entwürfe doch ihr Gefängnis nicht verlassen kann. Das sind seit über zweihundert Jahren verstörende Zumutungen wie sie heute angesichts mancher dekonstruktiver Architekturen von Zaha Hadid, Frank 0. Gehry oder Daniel Libeskind empfunden werden. In diesem dekonstruktiven Sinne haben auch die Bilder von Jaakov Blumas durchaus etwas Architektonisches und er selbst kann sich gut Weiterungen in gebauten Raum hinein denken…“
Hajo Schiff, 2000