Joachim Jacob
Eröffnung: Freitag 15. 07. 2016 um 19 Uhr
Einführung: Dr. Ronnie M. Peplow
Ausstellung: 16. 07. – 31. 07. 2016
Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag von 15 – 18 Uhr
und nach Vereinbarung – Tel: 0151 / 17218820
Finissage: 31.07. 2016 um 19 Uhr
Elliptische Räume sind besondere Raumformen, die mich schon lange und in gebauter Form immer wieder faszinieren. Mein Interesse an barocker Architektur spielt dabei sicherlich eine Rolle.
Betritt man einen Ellipsen-zylinderischen Raum, wird den Besucher_innen schnell bewusst, daß Bewegung im Spiel ist, also eine Bewegung in den und im Raum provoziert wird.
Barocke Architekten, wie Francesco Borromini (1597?-1667, Dedikation im Titel) und Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656-1723) haben mit dieser raffinierten Raumform experimentiert. Beiden scheint die dynamische Bedeutung der Raumdiagonalen, die sich aus dem umfassenden Rechteck ergibt, bewusst gewesen zu sein. Diese bewirkt beim Betreten des Raumes eine räumliche Tiefenwirkung. Zusätzlich wird das Bewegungsmoment durch die beiden Raummittelpunkte unterstützt.
Barocke, elliptische Grundrisse haben zumeist die ruhige Proportion 1 : 1,4, z.B. in Gartensälen. In den idealtypischen Entwürfen für Landhäuser(Lusthäuser) nutzt Fischer von Erlach aber bevorzugt die sehr elegante Proportion 1 : 1,7 und erschließt die Räume häufig über die Diagonalen des umgebenden Rechtecks. Damit kommt das räumliche Bewegungsmoment wieder ins Spiel.
Bewegende Raumgeneratoren
Die Architekturen von Francesco Borromini faszinieren mich auch deshalb, weil dort in der Raumformung und Dekoration neben der Ellipse auch der sogenannte Korbbogen ( = C-Form) eine raumkompositorische Rolle spielt (vgl. San Carlo alle quatre Fontane, Rom). Diese Form kann auch als Ellipsenfragment gelesen werden. Beide jedenfalls, die Ellipse und der Korbbogen sind raumdynamische Formen.
Bei Borromini bilden die korbbögigen, isolierten Wände separate Elemente, quasi Raumgeneratoren, die spielerisch miteinander kombiniert werden, wodurch eine plastisch bewegte Architektur entsteht, z.B. in Kirchen, bei Laternenaufbauten über Kuppeln, an Fenstergewänden und –rahmungen, bei Gesimsen, in Fassaden.
Künstlerisch betrachtet ist der Korbbogen in gezeichneter Version entweder Produkt geometrischer Konstruktion oder als gezeichnetes oder plastisches Ornament Produkt einer körperlichen Handlung der Hand, des Armes oder sogar des ganzen Körpers bzw. deren Kombinationen.
Kunsthistorisch bedeutsam ist der Korbbogen seit der Antike als sogenannte Volutenspange: eine C-förmige Dekorationsform mit beidseitig spiraligen Enden als Klammer-, Stütz- und Vermittlungselement in der Architektur und Dekoration. Als Raumform stellt die Volutenspange die reduzierteste Raumanmutung dar: das Konkave kann als Innen-, das Konvexe als Außenanmutung gelesen werden. In der Ornamentik des Rokoko – zumindest auf der graphischen Ebene – verselbständig sich die Volutenspange vollständig zu fast schon surrealen Architekturen, vgl. die Rocaille-Grotesken, z.B. von J.-A. Meissonier (1695-1750).
Das sind einige, in diesem Entwurf mitschwingende, kunsthistorische Referenzen.
Ein geköpfter Raum
Die Schule Sootbörn (1927-29) der Architekten-Brüder Langloh ist ein bizarrer Bau, denn selten geschieht, daß ein Gebäude außerhalb von Kriegszeiten brutal kastriert, geköpft wird, nur weil es einer neuen Landebahn im Wege steht.
Modernistische Architekturen spielen typischerweise mit liegenden und stehenden Formaten. Das galt auch für den ursprünglichen Schulbau Am Sootbörn vor dessen Verunstaltung 1970. Dieses Spiel wiederholte sich auch in der ehemaligen Aula, wo die Emporenbrüstung auf der einen Seite und die klare Kante der Bühne die Horizontale betonten und dagegen die seitlichen Fenster durch eine inneren Wandscheibe mit extrem hohen Arkadenbögen überfangen wurde. Diese Innenarchitektur, die quasi eine Überhöhung der Fenster, ist darin barocker Architektur nahe, denn dort wurde gerne das durch die Fenster eindringende Licht durch eine innere, zweite Architektur noch einmal wie durch eine Blende moduliert.
Dieser raffinierte Zustand des jetzigen Ausstellungsraumes (wie auch der äußeren Erscheinung des Gebäudes) ist zerstört. Die Proportionen sind durch die Abflachung extrem in die Horizontale gesteigert, der ehemalige Aularaum ist geköpft und flach gedrückt. Durch die Abtrennung des von oben belichteten Bühnenraumes ist der Raum außerdem abgeblockt, eine Aufweitung über die Bühne fehlt, der Außenbezug ebenso.
kurven zwischen räume (for Francesco B.)
Mein Entwurf bezieht sich auf den bestehenden Raum in seiner reduzierten Struktur.
Die formale Antwort darauf ist die Sprengung des Ausstellungsraumes durch den Einbau eines neuen Raumes. Die Veränderungen betreffen auch eine geänderte Zugänglichkeit und Belichtung, die konzeptuelle Öffnung zum Außen über das östliche Fenster.
Ein Ellipsenzylinder aus Stroh, 2,4 – 3,15 m hoch, Proportion 1 : 1,75, dessen Maße sich aus der Raumbreite des Ausstellungsraumes ( = 1) ergeben, ist um ca. 40 ° aus der Raumachse gen Ost (und damit fast auf Süd) gedreht und bildet diesen neuen Raum. Dieser wird aus ca. 300 Strohballen (ca. 75 x 50 x 35 cm) gebaut.
Die Dimension der Ellipse und ihre Drehung im Raum bieten verschiedene Vorteile für den bestehenden Raum:
- Die Ellipse dreht sich in den Innenhof hinein.
Sie beginnt links im Raum am Fenster und ergibt damit konzeptionell die Öffnung des Raumes zum Hof. Das östliche Saal-Fenster belichtet als einziges direkt den neuen Innenraum.
- Die Zugänge in den Ausstellungsraum sind stark verändert und sehr verschieden:Östlicher Eingang vom Foyer aus
Die große Strohwand verschließt im östlichen Zugang den direkten Blick in den Raum. Dadurch entsteht zwischen der Tür und der doppelten Zugangsöffnung in der Strohwand ein kleiner, schwach belichteter Vorraum.
Filmvorführkabine
Vom Foyer aus kann der neue Raum nur durch das Guckfenster der elliptischen Filmvorführkabine eingesehen, aber nicht begangen werden.
Westlicher Eingang vom Foyer aus
Der Zugang zum Ausstellungsraum durch die westliche Tür wiederum mündet in einen sich dynamisch verjüngenden Korridorraum, der zum vom Foyer aus nicht einsehbaren Zugang zum neuen Raum führt. Dahinter öffnet sich der Korridorraum als Nebenraum bis zur rechten Fluchttür.
- Der neue Ellipsen-Zylinder verschlankt den Aularaum und dreht ihn aus der vorhandenen Raumachse. Das führt zu einer Monumentalisierung des Raumes, womit eine Referenz an den alten Raum impliziert ist.
Die Drehung des Zylinders nach außen hin verweist im übertragenen Sinn auf die alte Raumöffnung zur Bühne hin.
Stroh
Stroh als Baumaterial nimmt Bezug auf einige meiner früheren Raum- und Landschaftsarbeiten. An dem Material interessiert mich neben den baulichen Qualitäten, d.h. der relativ schnellen Herstellung von Räumen durch ein optisch massives Material, besonders auch dessen sensuelle Qualitäten: der Geruch, die sinnliche und akustische Qualität, also: ein oberflächen-provokatives Material.
Als ehemals gewachsenes, also lebendiges Material scheint es mir als materiale Antwort auf die formale Raumstruktur des Entwurfes zu passen. Stroh, wie ich es verwende, ist ein wunderbarer Baustoff für temporäre Projekte, plastisch formbar, sinnlich und wiederum auch absolut einfach: Es ist genau genommen ein Abfallsmaterial, das sich heutzutage vermehrt im ökologischen Hausbau wiederfindet.
Körperarbeiten
An zwei Wänden werden Körper-Raum-Arbeiten (Tuschezeichnungen) von mir ausgestellt. Sie sind als eigenkörperliche Kurvenzeichnungen entstanden und antworten auf die Dynamik des neuen Raumes.
Joachim Jacob, Hamburg im Juni 2016