Ralf-Rainer Odenwald
Malerei
Eröffnung: Freitag 11.03. 2016, 19 Uhr
Einführung: Heiner Egge, Schriftsteller
Auf meine Malerei bezogen, ist zweierlei von Bedeutung, die Motivwahl versteht sich diesbezügl. von selbst – der Schaffensvorgang als sowohl emotionale, wie auch gedankliche Arbeit mögen eine weitere Ebene anzeigen.Ist eine „Kopfform“ einmal rudimentär angelegt, entsteht sukzessive eine Identifikation mit der Innenwelt des jeweiligen Kopfindividuums.Hier entwickelt sich nun durch „meinen Kopf“ und mein Handwerk die Ausgestaltung und Individualisierung der „Inhalte“. Dabei treibt mich der allseitige Widerspruch in eine Debatte mit dem Objekt. Es soll mir als Provokation entgegentreten, mich herausfordern, sich von mir lösen und abgrenzen, es soll sich ganz selber werden.
Schließlich werde ich, wie jeder andere, zum Betrachter, der dieser Malerei und Zeichensprache gegenübertritt – einer Fremdheit begegnet, die sich als Kunst, mit ihren ganz eigenen Kriterien und ihren eigenen Gedankenspielen und Verschlüsselungen ausliefert.Diese Köpfe sind mir ein Vorwand um der freien, emotionalen Aktion in der Malerei ein Feld zu geben und dieser Seite der Kunst, gegen eine eher rationale, konzeptuelle Bildfindung im eigenen Werk, eine Gegenposition offen zu halten.
Die Kunstpoetik ist auf beiden Positionen von vergleichbarer Ursache, sie entstammt der selben
Weltsicht und unterliegt der selben personalen Gestimmtheit.Aber die Köpfe suchen nach dem ehr Unbewussten und Fremden am imaginären Grund.Diese Arbeiten sind alle in den letzten 3 Jahren entstanden.
Ralf-Rainer Odenwald 10. 02.16
KOPFLOS
Heiner Egge, für Ralf-Rainer Odenwald zum 11. März im Sootbörn
Noch während wir so gingen, ins Gespräch vertieft und die Asche unserer Zigaretten in einer alten Dose sammelnd (für später), öffnete sich der Raum und ging über in den nächsten, noch größeren. Leere hallende Räume waren das, Welten, die bereit standen.Fast wie eine Prozession zogen die Köpfe an den weißen Wänden an uns vorbei. Der eine nahm den anderen mit, da war der Hanseat, die Maske vom lieben Gott, Helios, Hornung, Vaterunsersohn, Querin, Mamiko, Stickum, Walker & Lamprecht, sie alle kamen aus der gleichen Werkstatt. Zogen an uns vorbei in Augenhöhe. Öl, Acryl auf Papier, DIN A 2, aber auch 130 mal 180. Zentimeter. Alles da.„Man weiß noch nicht, wohin es führen wird“, sagte der Maler, als wir schon einiges an Asche gesammelt hatten: „Es fing damit an, dass ich Bilder aus früheren Lebens-und Schaffensphasen aussortierte: Das kann weg, und das, und das auch! Lauter Auslöschungen waren das. Ganze Teile meines verflossenen Lebens nahm ich aus den Bildern heraus, indem ich begann, diese Bilder zu übermalen. Wollte auch vergessen oder vergessen machen. Schicht für Schicht. Als langgedienter Maler kenne ich alle Schliche, auch die eigenen.“Er kniff ein wenig die Augen zu, nahm zwei drei schnelle Züge. Ich hielt ihm die Dose hin. Die Asche muss von den Kippen getrennt werden. Wir hielten jeder eine Dose in der Hand, Ordnung muss sein. „Aus der Grundierung wächst es heraus“, sagte er und sah mich an, prüfend ob ich noch folgen konnte. „Ich bin kein Zeichner“, fuhr er fort, „es geht alles über das Material, die Farbe, die Erwartung, die man dem werdenden Bild entgegenbringt.“ „Und die Kopfform?“ warf ich ein. „Ja“, antwortet er: „Ja. Über die Kopfform kam ich zum reinen Malen. Was draus werden sollte, überließ ich dem Zufall, zunächst. Die Form des Kopfes war dabei mehr ein Gerüst, ein Vorwand, um nicht ins Uferlose zu steuern, gar abzutreiben. Dabei malte ich immer gegen mich selber, gegen jede Art von Vorhersehbarkeit. Aber wenn dann die Richtung kommt, werde ich vorsichtig, sehr vorsichtig.“ Wir waren stehengeblieben. Vorsichtig. Jetzt schien es fast so, als wenn sich die Bilder ohne unser Zutun weiterbewegten. Köpfe, Köpfe, Köpfe! Wie ein Film, 24 Köpfe in einer Minute, in einem Jahr. Kopfkino. Das Erlaubte, das Unerlaubte, die Tarnnetze, die Adern. Mir wurde schwindelig. „Halt, stopp!“ sagte ich: „Ich will aussteigen.“Der Maler sah mich an, als hätte ich noch nie etwas von der Macht der Bilder gehört. Ich hätte auch sagen können: Halt die Welt an! „Lass uns weitergehen“, beruhigte er mich, „dir passiert doch nichts.“ Weitergehen? Und dann? Kein Kopf bleibt leer. Der eine sammelt lauter Erinnerungen: Erstes Fahrrad, Erste Reise, Erste Liebe, Kuss des Lebens, Erster Unfall, Erster Erfolg, lauter Reliquien also, was bleibt, was man immer wieder berühren kann, in guten wie in schlechten Tagen. Der andere Kopf vergrößert auch noch den kleinsten Erfolg und hängt ihn ins Licht, signiert wird sowieso immer nur auf der Rückseite, und dann rotten sich die Köpfe zusammen, tauschen Mund und Nase aus, flüstern ins selbstgewählte Ohr. Kopfgeburten, immer neue Geburten, und selbstverständlich gibt es auch den Dreier-Klub, die da ihre Buben ausspielen und auf die Könige warten. Und der Kopf, der dieses alles malt? Wohin, wohin? „Ich suche etwas, das ich so noch nicht gesehen habe. Deshalb kann ich nicht aufhören. Es ist unglaublich was alles durch den Kopf geht. Wir könnten ewigweitergehen.“ Gegenseitig geben wir uns Feuer. Zigarillos wären auch nicht schlecht. Oder die richtigen Zigarren, handgerollt in Brasil, die jeden Schwindel vertreiben und die man spätestens dann braucht, wenn man bei den Vorfahren angelangt ist. So wie wir jetzt, die wir mitten in der Ahnengalerie stehen. Die können gar nicht anders, die rücken immer enger zusammen und bilden ihre Familienblöcke, Bilder, die man nicht mehr abhängen darf, weil man nicht weiß, was sich dahinter verbergen könnte.
Von meinem Großvater habe ich den Wunsch immer alles aufzuschreiben. Schreib das auf! sagt er zu seinem Enkel (er hat nur den einen), und denkt, was er sieht, das muss ja auch der Enkel sehen. Sie haben den gleichen Blick, in alle acht Himmels- richtungen, denn der Großvater war ein weitgereister Mann, der hat die Welt gesehen. Und ich schrieb alles auf, machte die Augen fest zu, und schrieb auf, was ich dann sah, und alles was ich sah und aufschrieb gehörte mir und nur mir. Bedächtige Väter, geschwätzige Frauen, fragende Kinder, stumme Tanten. Schüler, die schon etwas mehr wissen. Und Schülerinnen, die ihre Werkreihe fertig haben. Augen sehen dich an, sechsfach, mindestens. Dazu ein Lehrer, der alle Köpfe einfach in die Aula hängen lässt, Licht fällt herein aus hohen schmalen Fenstern, immer mehr Licht, und jederzeit kann jemand kommen, der jegliche Erwartung durchkreuzt. Ab und zu ein verirrter Flieger. Wie wäre es denn, wenn man sich im eigenen Kopf bewegen könnte, wäre da Platz genug oder nähme die Engstirnigkeit zu, besonders im Alter? Keine Frage. Einfach reingehen!„Kommst du mit?“ frage ich also. Der Maler zögert. Vielleicht hat er schon zu viele Köpfe besichtigt: „Geh schon mal vor“, sagt er. Auf wessen Gefahr? will ich noch fragen, aber da bin ich auch schon drinnen. Und überrascht, wie viel Platz ich vorfinde. Es geht immer weiter. Das Innere dieses Kopfes nichts anderes als eine Landschaft. Wenn man Glück hat eine verhältnismäßig leere Landschaft, der man dann die Fülle des menschlichen Lebens gegenüberstellen kann. Sobald man die Oase erreicht hat, sagen wir zwischen Kairuoan und Sidi-Bou- Said, aber vorher immer wieder das Glück der Weite. Nur Sand, Wellen aus Sand und Licht, Schneckengehäuse, Dornenbüsche; ich malte und schrieb, den Kopf nun schon in der Hand: Nur das Verrückte öffnet dir die Türen zu deinem Innern. Als ich dann wieder, nun doch mit einiger Mühe, aus meinem Kopf herauskomme, hat der Maler schon auf mich gewartet: „Wie war’s?“ „Ein Traum war es nicht.“„Das war mir klar.“„In der Kunst und Literatur kann es immer nur um die Sache gehen. DIE SACHE.“„Dann lass uns weitergehen.“„Oh, ja!“ Hinter dem letzten der Ateliers beginnt das freie Feld. Plötzlich sind wir draußen. Schafstedter Niemandsland, Rundballen, Auffahrrampen, Vorgärten, Bürgersteige. Mit einem Wort: Das Feld. DAS GROSSE FELD. Und darin Menschen, Leute, denen man begegnet, grüßend oder auch nicht. Sie haben alle ein Ziel, denken sie und bewegen sich in die entsprechende Richtung. Aber irgendetwas stimmt nicht.Zunächst war es uns gar nicht klar, doch als wir genauer hinsahen, merkten wir, dass die meisten Leute da draußen in den Straßen, auf den Feldern, vor den Häusern völlig kopflos waren. Aber das schien sie gar nicht zu stören. Große und kleine Wichte. Wie wir. Sie verrichteten alles, was verrichtet werden musste.Natürlich hatten wir schon oft von kopflosen Menschen gehört. Aber wenn es dann wirklich so weit ist, traut man seinen Augen nicht mehr. Dabei wissen wir doch, wiewenig der Kopf mit dem Körper zu tun hat. Aber natürlich verfolgt der Körper den Kopf, lebenslänglich, ohne wirklich ans Ziel zu kommen. Ich spüre, wie der Maler unruhig wird. Hat er Sehnsucht nach seinen Köpfen da drinnen in den geräumigen, in den sicheren, nie endenden Ateliers, in denen man sein Leben verbringen und archivieren kann? Vielleicht ist es hier draußen viel zu windig, die Gefahr zu groß, dass man plötzlich fortgerissen wird? Wer hält dann wen? Denkt man und sieht es ja auch auf den Bildern des Malers. Jeder Kopf für sich eine Metamorphose, immer wieder vergraben und Jahre später wieder ausgegraben, Schicht für Schicht, neue Brücken, ein ewiges selbstvergessenes Schaffen…. „Siehst du mein Freund, so schön sind die Künste.“ Aber nun war später da, genug Asche gesammelt für neue Bilder, für die Grundierung, mit Eigelb vermischt und gut verrührt. Und wenn der Schmetterling noch einmal zum Leben erweckt wird, die Flügel breitet und zeigt, was er sich darauf hat malen lassen? Es schadet doch nichts. Fliegen kann er ja, und sich vom Leben doch noch einmal fortreißen lassen, wäre auch nicht schlecht. Morgen schon oder nächstes Jahr.Der Maler, ich konnte ihn nicht mehr halten, war nun gar nicht mehr zu sehen. Aber ich hörte ihn, ganz langsam und fast ein wenig suchend in meinem Kopf sprechen: „Du kannst unsichtbare Wunder schaffen, ohne dass nur einer sieht, was da versinkt.“Sicherheitshalber trug ich die Asche zurück ins Atelier, für die nächste Schicht. Brennen muss man und leuchten. Und dann? – Immer wieder das alte Kinderspiel: Du schließt die Augen und alles, was du dann siehst, gehört dir. Augen wieder auf!
Heiner Egge, freier Schriftsteller, letzte Buchveröffentlichungen: „Tilas Farben“, Roman 2013
„Taube komm herein“, Liebesgeschichten
2015 Östermoor 1, 25779 Hennstedt, e-mail: egge-oestermoor@t-online.de